Ich und Orson Welles

Aus der Perspektive eines fiktiven Jungschauspielers blickt Richard Linklater auf den jungen Orson Welles und die letzte Probenwoche zu seiner legendären Inszenierung von Shakespeares "Julius Caesar" mit und am legendären New Yorker Mercury-Theatre. – Souverän verknüpft Linklater fiktive Coming-Of-Age-Geschichte und reale Theatergeschichte und erweckt – nicht zuletzt dank exzellenter Besetzung - atmosphärisch dicht die über 70 Jahre zurückliegenden Ereignisse zum Leben.
Richard Linklater gehört zweifellos zu den interessantesten und experimentierfreudigsten amerikanischen Regisseuren. In keine Schublade lässt sich der 1960 geborene Texaner pressen, wagt immer wieder mal etwas Neues. Bekannt sind von ihm zwar vor allem die beiden wunderbaren romantischen Komödien "Before Sunrise" (1995) und "Before Sunset" (2004) und ein Erfolg speziell beim jüngeren Publikum gelang ihm 2003 mit "School of Rock", doch er kann auch ein scharfer Gesellschaftskritiker sein, wie seine Verfilmung von Eric Schlossers Sachbuch "Fast Food Nation" (2006) beweist. Formal neue Wege ging Linklater mit dem Teeniefilm "Waking Life" (2001), den er zunächst mit Schauspielern aufnahm, um ihm dann durch digitale Nachbearbeitung den Look eines Animationsfilms verleihen. Nachdem er in dem Science-Fiction-Film "A Scanner Darkly" (2006) einen düsteren Blick in die nahe Zukunft warf, rückt er in "Ich und Orson Welles" die Anfänge des Genies Orson Welles und seines legendären Mercury Theatres in den 1930er Jahren in den Mittelpunkt.
Der Titel gibt nicht nur die Blickrichtung vor, sondern verkehrt gleichzeitig die Machtverhältnisse. Denn der nicht nur geniale, sondern auch despotische und bedingungslose Unterordnung verlangende Egomane Orson Welles wird hier in die zweite Reihe gerückt. Programmatisch ist dieser Titel freilich auch, denn der junge Schauspier Richard Samuels (Teenie-Schwarm Zac Efron), der eher zufällig in Orson Welles´ Theatertruppe am Mercury Theatre aufgenommen wird, befreit sich im Laufe des Films aus den Fängen des Giganten, lässt sich nicht alles gefallen, sondern bietet ihm Paroli – auch wenn er dafür einen hohen Preis zahlt.
In jeder Szene spürt man die Begeisterung Linklaters fürs Theater und diese von Theaterleidenschaft bestimmte Gemeinschaft sowie seine Bewunderung für das Genie Welles, den er aber keineswegs unkritisch zeichnet. Großartig ist Christian McKay in dieser Rolle, der Welles nicht nur physiognomisch ähnelt. Sich selbst nimmt McKay eher zurück, verzichtet auf Manierismen und ordnet sich der Rolle unter. Brillant vermittelt er so die Gegensätze von Welles. In seinem Spiel spürt man die Leidenschaft des damals erst 22-jährigen Theater- und späteren Filmemachers, die Überzeugung von sich und seinen Projekten, die erst das Grandiose möglich machte. Gleichzeitig wird aber auch der rücksichtslose Umgang mit den Mitarbeitern, das Egomane und Menschenverachtende, herausgearbeitet. Jeden gewinnt Welles mit den gleichen Sätzen und Tricks für sich, geschickt manipuliert er und feuert andererseits jeden, der sich ihm nicht bedingungs- und widerspruchslos unterordnet, ohne mit der Wimper zu zucken.
Wunderbar durchweht von der Musik der 1930er Jahre, von Duke Ellington, George Gershwin und Richard Rodgers, ist dieses mit viel Liebe zum Detail ausgestattete und in nostalgische Brauntöne getauchte Period-Picture. Ganz auf die letzte Probenwoche von Welles´ legendärer Inszenierung von Shakespeares "Julius Caesar" beschränkt sich Linklater und verknüpft die realen Ereignisse mit der fiktiven Geschichte des jungen Richard, der sich in die ebenfalls fiktive Produktionsassistentin Sonja (Claire Danes) verliebt.
Wie oft in seinen Filmen erzählt Linklater auch in diesem Filme eine Coming-of-Age-Geschichte, lässt Richard im Laufe der Ereignisse reifen, Position beziehen und sich aus Überzeugung auch mit dem übermächtigen Gegenüber anlegen. Sanft und romantisch ist "Ich und Orson Welles" auf dieser Erzählebene, während andererseits ebenso akribisch wie mitreißend die hektischen letzten Proben von "Julius Caesar" nachgezeichnet werden. End- und Höhepunkt muss da auf dieser historischen Ebene die Premiere des Stückes sein. Begeistert reagieren Publikum und Kritik auf die moderne Klassiker-Inszenierung, die durchgängig Bezüge zum Faschismus und Nationalsozialismus herstellte, und die von Welles selbst gestellte Frage, was danach kommen wird, lässt sich von heutigem Standpunkt leicht beantworten: Ein Jahr später folgte das Hörspiel "War of the Worlds“ und drei Jahre später das filmische Meisterwerk "Citizen Kane".
Doch trotz dieses Triumphs auf der Bühne verliert Linklater seinen eigentlichen Protagonisten nicht aus den Augen. Wird bei Welles mit dieser Premiere der Grundstein für seine Karriere gelegt, so führen bei Richard die Erlebnisse, die er in dieser Woche machte, und die bittere Lektion fürs Leben, die ihm erteilt wurde, zu einer Neuorientierung, mit dem "Ich und Orson Welles" nicht nur optimistisch endet, sondern auch stilvoll und geschickt den Bogen zu seinem Anfang schlägt.
Unrecht tut man Linklater, wenn man kritisiert, dass er ganz auf seine Schauspieler vertraut, seine Geschichte aber doch sehr altmodisch erzählt, denn man übersieht dabei, dass das zum Programm gehört. Erst durch den Verzicht auf Modernismen und Effekte, durch die Reinszenierung einer Zeit durch den Stil dieser Zeit, erwacht nämlich diese New Yorker Theaterwelt der 1930er Jahre so dicht zum Leben und gleichzeitig spielt Linklater in Plansequenzen mit komplexen Kamerabewegungen auch liebevoll auf den filmischen Inszenierungsstil an, der Welles berühmt machte, und erweist dem trotz allem bewunderten Genie seine Reverenz.
Läuft derzeit im Cinema 2000 in Dornbirn und im Rahmen des TaSKino im Kino Namenlos in Feldkirch (Deutsche Fassung)
Trailer zu "Ich und Orson Welles"
Die Meinung von Gastautoren muss nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen. (red)