15. September 2020 - 17:03 / Ausstellung / Gegenwartskunst 
12. September 2020 26. September 2021

Die Ausstellung zeigt individuelle Geschichten der Flucht und jene Spuren, die diese im Werk der Künstler_innen hinterlassen.

Menschen fliehen vor Krieg, Verfolgung oder Armut und suchen einen Weg in die Fremde, um hier ein neues Leben beginnen zu können. Mit Malereien, Fotografien, Videoarbeiten, Installationen und Skulpturen widmet sich "Spuren und Masken der Flucht" einem der gesellschaftspolitisch relevantesten Themen unserer Zeit und stellt Werke von Künstler_innen vor, die ihre eigene Fluchterfahrung oder die Fluchterfahrung anderer auf ganz unterschiedliche Weise verarbeiten. Der Großteil von ihnen lebt in Österreich.

Die Schau vereint Arbeiten von knapp vierzig Künstler_innen ab 1945 bis heute. Gezeigt werden etwa Kunstwerke des Malers und Zeichners Adel Dauood, der Documenta-Künstlerin Danica Dakić oder des Bildhauers Zbyněk Sekal, dem aktuell eine Personale im Belvedere 21 gewidmet ist und der 2002 in der Kunsthalle Krems zu sehen war. Einen direkten Bezug zu Krems hat auch Ramesch Daha, deren Wandmalerei an der Justizanstalt Stein sich in unmittelbarer Nähe zur Landesgalerie Niederösterreich befindet. Vertreten sind zudem Deborah Sengl, deren Escape-Room noch bis Ende des Jahres im MuseumsQuartier Wien Fluchterlebnisse emotional nachempfinden lässt, Sepp Brudermann, dessen Arbeit in den USA bereits beim Sundance Film Festival gezeigt wurde, oder der als Kriegsfotograf berühmt gewordene Robert Capa. Dora Kallmus, die berühmteste Portrait- und Modefotografin in Österreich zu ihrer Zeit, zeigt Fotografien von Menschen in Flüchtlingslagern der frühen Nachkriegszeit, der Fotojournalist Erich Lessing dokumentiert den Ungarischen Volksaufstand 1956. Wichtige Werke aus den Landessammlungen Niederösterreich liefern etwa Anna Jermolaewa, Eva Brunner-Szabo oder Carl Zahraddnik, der im Widerstand gegen das NS-Regime gekämpft, Haft und Internierungslager überlebt und diese Erlebnisse in seinen Zeichnungen und Malereien verarbeitet hat.

Das kuratorische Konzept von Günther Oberhollenzer und Georg Traska schafft mit Begrifflichkeiten wie "kulturelle Dekonstruktion", "Biobürokratien" oder "Imaginäre Räume" ein Ordnungssystem in der Ausstellung, das sowohl inhaltlich als auch räumlich erschlossen werden kann.

Fluchterfahrungen als Lebensrealität

"Spuren und Masken der Flucht" ist eine der wenigen musealen Kunstausstellungen der letzten Jahre, die sich mit Flucht und Migration auseinandersetzen. Die Ausstellung geht den Fragen nach, welche Schicksale sich hinter medial erzählten Fluchtberichten verbergen, was es für den einzelnen Menschen heißt, seine Gemeinschaft zu verlassen, sich in völlige Unsicherheit und Lebensgefahr zu begeben und – wenn die Flucht gelingt – in einem fremden Land heimisch zu werden. Und nicht zuletzt, was Flucht für die individuelle Prägung des Einzelnen bedeutet. "Unsere Gegenwart ist von Erlebnissen und Schicksalen geflüchteter Menschen geprägt, die oft von weit entfernten Ländern zu uns gefunden haben. Die daraus erwachsende Herausforderung, aber auch die bereichernde Seite dieser gesellschaftlichen Veränderungen bilden heute einen zentralen Bestandteil unserer Lebensrealität, die in unserem Haus thematisiert werden muss. In direkter Nachbarschaft zur großen Wachau-Ausstellung zeigt ‚Spuren und Masken der Flucht‘, wie sehr der Heimatbegriff heute neu gedacht und formuliert wird", so Christian Bauer, künstlerischer Direktor der Landesgalerie Niederösterreich.

Österreich als Fluchtziel

Österreich war seit seiner Existenz als zentraleuropäischer Nationalstaat immer wieder Fluchtziel: an der Grenze zu gewalttätigen Konflikten (1956, 1968, 1991-95), als kleiner politisch "neutraler" Angelpunkt im Kalten Krieg, auf einer Seite des zerbrechenden Eisernen Vorhangs (1989/90) und innerhalb einer zunehmend globalisierten Migration über weite Strecken. Die Geflohenen kamen in mehr oder weniger unerwarteten Wellen. Sie wurden aufgenommen als Verfolgte und abgewehrt als 'Fremde'. Je nach Standpunkt und Auffassung der Phänomene änderten sich die Ikonografien der Flucht. Die räumliche, quantitative und kulturelle ‚Überschreitung‘ konnte in schockierenden oder skandalisierenden Bildern festgehalten werden. Sie rief aber auch künstlerische Sensibilitäten wach und kann positiv als Angriff auf verstockte Bildkonventionen verstanden werden, indem Geflohene auch neuartige Bilder schufen. Dem erzwungenen Aufbruch geht eine meist lange Geschichte von politischen Repressionen und existentiellen Belastungen voran, die Flucht wird oft zur Odyssee, und sie endet lange nach der Ankunft. Für die Reise müssen Identitäten verborgen und gewechselt werden, der behördliche "Asylprozess" ist ein weiteres Maskenspiel. Diese Aspekte einer Person, ihre Masken und die mentalen Brücken zwischen dem Hier und dem zurückgelassenen Dort werden zum künstlerischen Gegenstand: Erinnerungen, Phantasmen, Dokumente, Fragmente. "Das Bestreben der Ausstellung ist es, die Zwischentöne, die in den Massenmedien meist verloren gehen, hörbar und bisher auch weniger bekannte Aspekte der Flucht und ihre Rahmenbedingungen sichtbar zu machen", hält Oberhollenzer fest. "Es geht nicht um die Inszenierung der Geflohenen als Individuen, sondern um individuelle künstlerische Perspektiven des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart", ergänzt Traska.

Künstler/innen: Osman Ahmed, Basel Alsheakh Ali, Rania Mustafa Ali, Alaa Alkurdi, Khaled Barakeh, Jakov Bararon, István Bielik, Franz Blaha, Tanja Boukal, Sepp Brudermann und Anabel Rodríguez, Eva Brunner- Szabo, Robert Capa, Ramesch Daha, Danica Dakić, Adel Dauood, Friedemann Derschmidt, Mehmet Emir, Olga Georgieva, Rolf Gillhausen, Patricio Handl, Robert Jelinek, Anna Jermolaewa, Dora Kallmus, Lena Lapschina, Vadim Kosmatschof, Evelyn Kreinecker, Erich Lessing, Camila Lobos, Klaus Mosettig, Lisl Ponger, Florian Rainer, Faek Rasul, Zbyněk Sekal, Deborah Sengl, Alena Vadura-Bilek, Nina Werzhbinskaja- Rabinowich, Linda Zahra und Carl Zahraddnik

Spuren und Masken der Flucht
12. September 2020 bis 26. September 2021
Kuratoren: Günther Oberhollenzer und Georg Traska

Landesgalerie Niederösterreich
Museumsplatz 1
A - 3500 Krems an der Donau

W: https://www.lgnoe.at/

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  •  12. September 2020 26. September 2021 /
Adel Dauood, Untitled, 2016 © Adel Dauood
Adel Dauood, Untitled, 2016 © Adel Dauood
© Alaa Alkurdi , „Reverse Privilege“, Videostill, 2018
© Alaa Alkurdi , „Reverse Privilege“, Videostill, 2018
Ausstellungsansicht, Spuren und Masken der Flucht © Raffael F. Lehner
Ausstellungsansicht, Spuren und Masken der Flucht © Raffael F. Lehner
© Rania Mustafa Ali, „Escape from Syria: Rania`s Odyssey”, 2017, Videostill
© Rania Mustafa Ali, „Escape from Syria: Rania`s Odyssey”, 2017, Videostill