14. Mai 2009 - 4:49 / Walter Gasperi / DVD Tipp
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Im Vergleich mit den Filmen Sergej Eisensteins und Wsewolod Pudowkins ist Dziga Vertovs leidenschaftliche Hymne auf die Russische Revolution und den ersten Fünfjahresplan wenig bekannt. – In der edition filmmuseum ist schon 2005 eine mustergültig gestaltete Doppel-DVD erschienen, die die Möglichkeit eröffnet diese kühne Mischung aus Dokumentar- und Avantgardefilm (wieder) zu entdecken.

Als Meilenstein hat unter anderem Charles Chaplin Dziga Vertovs 1930 gedrehten "Entuziazm (Simfonija Donbassa)" verehrt, doch bald geriet dieses Meisterwerk in Vergessenheit und wurde erst in den 1960er Jahren von der Avantgarde wieder entdeckt. Verwundern kann diese Reaktion kaum, denn mit dem kühnen Einsatz filmsprachlicher Mittel, speziell dem des im Film noch neuen Tons, hat sich Vertov wohl einerseits bei den sowjetischen Machthabern dem Vorwurf des Formalismus ausgesetzt und war andererseits der Zeit so weit voraus, dass der Film auch im Westen nicht entsprechend gewürdigt wurde.

Aufs Zeichenhafte reduziert ist die Bildsprache, in Krone mit Kreuz, im Kreuz auf einer Kirche, im Niederknien vor einem Heiligenbild, im Küssen der Füße einer Christusstatue maniferstiert sich hier das verhasste zaristische Regime. Als Gegenpol dazu wird eine Demonstration unzufriedener Massen ins Bild gerückt. Und auf der Tonebene steht der Kirchenmusik die Internationale gegenüber und das Ticken einer Uhr sowie der Ruf eines Kuckucks künden schon die kommende Revolution an.

Diese ist auf den Sturz der Symbole und die Ersetzung des Kreuzes durch die Revolutionsfahne reduziert und schon geht es an die Umsetzung eines Fünfjahresplans. Keine Hauptperson wird hier vorgestellt, die Masse ist Träger des Umsturzes und treibt die gesellschaftliche Entwicklung voran.

Leidenschaftlich feiert Vertov die neue Ordnung, wenn er zeigt, wie die Elektrizität eine in Dunkelheit liegende Stadt illuminiert, und die Arbeit an Hochöfen, die Kohleproduktion und die Landarbeit durch die Bildfolge geradezu zu einem leichten Ballett stilisiert wird. Eindringlich soll hier dem Zuschauer symbolisiert werden, dass hier etwas voran geht, etwas geleistet und produziert wird.

Abstrakte Bilder wie glühend heiß leuchtende Stahlstäbe werden zu Chiffren der neuen Ordnung, des Elans der Menschen und des damit verbundenen wirtschatlichen Aufschwungs. Und Inserts wie "Es lebe die Kollektivierung und die Diktatur des Proletariats" verstärken noch diese revolutionäre Stimmung. – Vereinnahmt und für den Aufbau des Sozialismus motiviert und von ihm überzeugt werden soll der Zuschauer durch "Entuziazm", der ganz dem Titel entsprechend Enthusiasmus verbreitet.

Seine mitreißende Dynamik und seinen Schliff gewinnt Vertovs Hymne auf den Sozialismus aber erst durch seine - für die Zeit des frühen Tonfilms eine Sensation - punktgenau gesetzte Tonspur. – Die freilich gab es lange nicht. Denn während in der im Gosfilmofond der Sowjetunion überlieferten Fassung der Ton nicht exakt zum Bild passte, merkt man gerade durch den Vergleich dieser Fassung mit der von Peter Kubelka 1974 durchgeführten Re-Synchronisation, wie dieser Film erst durch das perfekte Zusammenspiel von Bild und Ton seine Kraft entwickelt.

Und neben diesen beiden Fassungen des Films bietet diese wie gewohnt vorbildlich gestaltete Ausgabe der edition filmmuseum auf einer zweiten DVD auch noch einen 60 minütigen Beitrag, in dem Peter Kubelka sehr anschaulich die Arbeit der Re-Synchronisation erläutert und prägnant die Unterschiede der beiden Fassungen aufzeigt.



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