Retrospektive Schillernd Grau. Französisches Kino unter Nazi-Herrschaft.
Nach der Kapitulation Frankreichs im Juni 1940 fällt mit Paris auch das Zentrum der französischen Filmindustrie unter nationalsozialistische Herrschaft.
Man könnte meinen, es begännen schwarze Jahre für den französischen Film. Aus filmhistorischer Perspektive sollte man die Zeit der deutschen Besetzung vielleicht farbmetaphorisch präziser als schillernd graue Jahre bezeichnen, gezeichnet von extremer Ambiguität, zwischen Kollaboration, Widerstand und Anpassung. Und auf den ersten Blick mag es verwundern, dass dieser verhältnismäßig kurze und von Nazi-Deutschland kontrollierte Zeitabschnitt der französischen Filmgeschichte häufig neben der Nouvelle Vague und dem Poetischen Realismus als eine der Glanzzeiten des französischen Films angesehen wird, in der Filme wie les enfants du paradis, premier rendez-vous, la main du diable, la nuit fantastique oder le corbeau entstanden.
Eine zentrale Rolle im französischen Filmschaffen der Jahre 1940 bis 1944 spielt dabei die Produktionsfirma Continental Films, die insgesamt 30 Spielfilme in die Kinos brachte – mehr als jede andere Gesellschaft. Continental Films Paris war eine französische Gesellschaft nach französischem Recht, doch finanziert wurde sie zu hundert Prozent aus den Töpfen des Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda in Berlin.
Die Gründung des Unternehmens erfolgte auf persönliches Geheiß von Joseph Goebbels, der französische (wie internationale) Markt sollte vor allem mithilfe von seichter Unterhaltung erobert werden. Doch Goebbels hatte die Rechnung ohne seinen Continental-Produzenten Alfred Greven gemacht, dem es vor allem darum ging, gute Filme zu drehen, DIE Spitzenprodukte des französischen Kinos herzustellen – und das gelang ihm auch, wie sich im Rahmen dieser Retrospektive zeigen wird.
Ergänzt wird das Programm durch nach 1945 entstandene Produktionen von Regisseuren wie François Truffaut, Louis Malle oder Alexander Sokurov, die auf die Zeit der deutschen Besetzung zurückblicken und ein Gefühl dafür vermitteln, unter welchen Umständen die gezeigten Filme produziert und rezipiert wurden. Begleitend zur Retrospektive ist bei Synema die Publikation Schillernd Grau. Continental. Eine deutsche Filmproduktion im besetzten Frankreich 1941–1944 erschienen.
Filmliste
Retrospektive "Schillernd grau"
premier de cordée (Ruf der Berge | Louis Daquin, F 1944)
premier rendez-vous (Ihr erstes Rendezvous | Henri Decoin, F 1941)
l’éternel retour (Der ewige Bann | Jean Delannoy, F 1943)
goupi mains rouges (Eine fatale Familie | Jacques Becker, F 1943)
douce (Irrwege des Herzens | Claude Autant-Lara, F 1943)
la nuit fantastique (Die phantastische Nacht | Marcel L’Herbier, F 1942)
la main du diable (Die Teufelshand | Maurice Tourneur, F 1943)
caprices (Einmal im Jahr | Léo Joannon, F 1942)
this land is mine (Dies ist mein Land | Jean Renoir, F 1943)
les inconnus dans la maison (Das unheimliche Haus | Henri Decoin, F 1941)
francofonia (Aleksandr Sokurov, D/F/NL 2015)
le corbeau (Der Rabe | Henri-Georges Clouzot, F 1943)
l’assassinat du père noël (Mord am Weihnachtsmann | Christian-Jaque, F 1941)
le dernier métro (Die letzte Metro | Francois Truffaut, F 1980)
les enfants du paradis (Kinder des Olymp | Marcel Carné, F 1945)
lacombe, lucien (Louis Malle, F 1974)
monsieur Klein (MR. KLEIN | Joseph Losey, F 1976)
the train (John Frankenheimer, US 1964)
péches de jeunesse (Jugenderinnerungen | Maurice Tourneur, F 1941)
la vie de plaisir (Das leichte Leben | Albert Valentin, F 1944)
la symphonie fantastique (Symphonie der Liebe | ChristianJacque, F 1942)
le dernier des six (Sie waren Sechs | Georges Lacombe, F 1941)
mam'zelle bonaparte (Mamsell Bonaparte | Maurice Tourneur, F 1942)
l’assassin habite au 21 (Der Mörder wohnt NR. 21 | HenriGeorge Clouzot, F 1942)
paradis perdu (Das verlorene Paradies | Abel Gance, F 1940)
Retrospektive Schillernd Grau
11. April bis 1. Mai 2019 im Metro Kinokulturhaus
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