7. November 2008 - 3:54 / Ausstellung 
29. August 2008 9. November 2008

Ein mit Wasserfässern beladener Piaggio fährt eine 11 Meter hohe Rampe hinunter und auf der Gegenseite wieder hinauf. Der Dreiradtransporter überschlägt sich und landet auf dem Boden. Was wie ein Unfallbericht klingt, ist die Werkanlage eines skulpturalen Ereignisses von Roman Signer im Kunstraum Dornbirn/Vorarlberg.

Der 1938 in Appenzell geborene und in St.Gallen lebende Künstler gehört nach seinen Beteiligungen an der documenta 8 in Kassel (1987), der Ausstellung Skulptur Projekte Münster (1997) und der Biennale in Venedig (1999) zu den bedeutendsten Gegenwartskünstlern. Für den Kunstraum Dornbirn hat Roman Signer nach drei Aktionen im vergangenen Dezember: Fahrt an der Decke, Aktion mit Modellhubschrauber und Fässern und Kanonenschuss mit Ball auf übereinander stehende Fässer, eine neue Installation konzipiert. Die Ausstellung wird am 28. August 2008 eröffnet.

Flüge der Objekte durch den Raum, Explosionen ausgelöst durch Sprengstoff jeder Art, Kollisionen und das Spiel mit der Schwerkraft. Durch die künstlerische Transformation wird Vertrautes plötzlich fremd, und die Dinge des Alltags erscheinen absurd. Roman Signer benutzt seine immer wieder kehrenden Gegenstände wie Modellhubschrauber, Piaggio, Koffer, Tische, Stiefel und Fässer meist nicht in ihrer gewohnten Funktion, sondern setzt sie gezielt Ereignissen aus. "Ich entwickle die Konstruktion, die eigentliche Form entsteht wie von selber durch einen Naturvorgang", so der Schweizer Künstler. Das Akzeptieren und der Einbezug des Zufalls oder natürlicher Prozesse bei der Realisierung eines Werkes sind für Roman Signer von zentraler Bedeutung. Ernsthaftigkeit und eine lange Vorbereitungszeit gehen den skulpturalen Ereignissen voraus.

Als Auftakt zur aktuellen Installation im Kunstraum Dornbirn hat Roman Signer im Dezember letzten Jahres bereits drei Aktionen durchgeführt: Ein ferngesteuertes Kleinfahrzeug wird durch ein nach unten gerichtetes Düsentriebwerk an die Decke des Kunstraumes gepresst. Es bewegt sich kopfüber langsam vorwärts und fällt nach Erreichen des Ziels in ein Sicherungsseil. Der Rückstoß des Abgasstrahls wirbelt am Boden ausgelegte Zeitungsblätter auf. Bei der zweiten Aktion rollt ein Modellhubschrauber allein durch den Luftdruck seiner Rotorblätter dreimal eine Tonne in Richtung des geöffneten Hallentors. Zum Abschluss trifft ein Fußball – als Kanonenkugel aus einer Vorderlader-Kanone gefeuert – mit voller Wucht einen Turm aus Fässern, der in sich zusammenstürzt.

Raum, das Geschehen im Raum und Zeitabläufe bestimmen das Schaffen des 70-jährigen Künstlers, der das Staunen, genaues Beobachten, die Freude am Experiment und an Jugendstreichen und Bubenträumen nicht verlernt hat. Humoristischer Tiefgang und ein ausgeprägter Sinn für die Skurrilitäten des Lebens zeichnen ihn aus. Unfälle üben auf Roman Signer eine Faszination aus, nicht Tod und Verletzungen, vielmehr das Geschehen zieht ihn in den Bann: "Zum Beispiel habe ich einen beladenen Lastwagen beobachtet, der ins Schleudern kam und umgekippt ist. Aus seinem Inneren rieselte Zucker auf den Boden und bildete Kegel."

Momente des Umkippens oder Umfallens, der extremen Beschleunigung und des abrupten Stillstandes, der Verdichtung oder Zerstreuung als ästhetische Ereignisse bilden den Ausgangspunkt der aktuellen Arbeit für den Kunstraum Dornbirn, die exemplarisch Roman Signers Verständnis von Skulptur manifestiert. Der Künstler wird zum Auslöser der in alltäglichen Gegenständen innewohnenden potentiellen Energie. In einer Versuchsanordnung initiiert er einen Transformationsprozess.

Die der Installation – Unfall als Skulptur vorausgehende Aktion im Kunstraum Dornbirn findet aufgrund des Gefahrenpotentials, das Roman Signers Arbeiten häufig innewohnt, unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Besucher werden mit den Relikten und Spuren des abgelaufenen Prozesses konfrontiert. Sie rekonstruieren das spektakuläre Geschehen in ihrer Fantasie, so wie man es beim Betrachten der Fotos von Verkehrsunfällen tut. Die Werkmaterialien werden von Roman Signer von einem statischen, über einen dynamischen wieder in einen, jedoch veränderten, statischen Zustand überführt. In seinen Arbeiten verbindet sich existentielle Erfahrung mit der Poesie des Visuellen.

Roman Signers Skulpturenbegriff ist seit den 1970er-Jahren durch Prozesshaftigkeit, Bewegung, raum-zeitliche Ausdehnung und den Einbezug von Naturkräften geprägt. In einer künstlerischen Recherche, einer Art plastischer Grundlagenforschung, widmet sich der Künstler den Energiepotentialen der Natur und den physikalischen Eigenschaften so vertrauter Dinge wie eines italienischen Dreiradtransporters oder von Wasser. Aber auch Feuer, Raketen und Explosionen übersetzt er in ephemere Skulpturen und nutzt ihr jeweiliges Energiepotential zur Deformation bzw. Transformation von Tischen, Fässern, Fahrrädern etc. Diese alltäglichen Gegenstände bilden ein präzise ausgewähltes, zahlenmäßig überschaubares Repertoire, auf das der Künstler in immer neuen Kombinationen zugreift. Roman Signer versteht sich als Bildhauer und bezeichnet seine Aktionen als Skulpturen, obwohl diese momentanen Charakter haben. Sein Werkbegriff ist ein dynamischer, die Bewegung steht im Mittelpunkt und darin ist das Potential zur Veränderung angelegt. In diesem Sinne sind Roman Signers Arbeiten als Zeit-Skulpturen zu verstehen, die prozessuale Abläufe in der Zeit und deren mediale Aufzeichnung durch Fotografie und vor allem Video umfassen.
Ingrid Adamer


Zur Arbeit "Installation – Unfall als Skulptur" von Roman Signer werden ein Video (Aufdi Aufdermauer, videocompany.ch) sowie eine Dokumentation in Katalogform (Verlag für Moderne Kunst Nürnberg) entstehen.

Installation – Unfall als Skulptur
29. August bis 9. November 2008
Eröffnung: Do 28. August 08, 20 Uhr

Kunstraum Dornbirn
Jahngasse 9 (Montagehalle)
A - 6850 Dornbirn

W: http://www.kunstraumdornbirn.at/

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