Winterreise

So zerrissen wie die Hauptfigur ist auch Hans Steinbichlers Film. – Kraftvoll, aber widersprüchlich, voller Brüche, aber aufregend. Kein stromlinienförmiges Kino, sondern das vibrierende Psychogramm eines gescheiterten Unternehmers, der förmlich außer sich ist, voll Zorn und Aggressionen, ein rassistisches Ekel und dennoch bedauernswert.
Die verschneite Winterlandschaft um das bayrische Wasserburg am Inn hier und die rotbraune Steppe Kenias dort. Von Anfang an prallen in Hans Steinbichlers zweitem Spielfilm Gegensätze aufeinander. Entspringen die Afrikabilder am Beginn noch dem Traum, so werden sie später zur Realität. Vorerst aber hetzt der Metallwarenfabrikant Franz Brenninger noch herum, verlässt verärgert und schimpfend die Kirche, rast mit dem Auto fluchend durch die Gegend, protestiert in der Bank lautstark gegen die Sperrung seiner Karten, bringt seiner fast blinden Frau einen Blumenstrauß und dröhnt sich mit lauter Rockmusik zu.
Hautnah folgt die Handkamera diesem Mittfünfziger, vermittelt mit nervösen Bewegungen, Detailaufnahmen und schnellem Schnitt eindrücklich seine innere Zerrissenheit. Man spürt, wie dieser Mann außer sich ist, voll Zorn und Aggressionen, ein getriebenes Tier, das sich abreagieren muss, das seine Frustration durch Aktion, durch Hektik und Lärm kompensiert. Doch neben der Rockmusik gibt es immer auch Schuberts »Winterreise«, die zusätzlich auf die Depression, in die Franz Brenninger immer tiefer fällt, verweist.
Josef Bierbichler spielt diesen gescheiterten Fabrikanten mit höchstem Einsatz, hart an der Grenze zur Überzeichnung und Selbstinszenierung, aber gerade dadurch mitreißend und kraftvoll.
Seine Kinder empfehlen ihm eine Therapie, aber er beschimpft sie nur. Mit dem betrieblichen Niedergang gerät auch sein Leben aus den Fugen, bestand doch in der Fabrik sein bisheriger Lebenssinn. Mit einer dubiosen Geldtransaktion in Kenia will er sich nun sanieren und bricht trotz Bedenken mit seiner jungen Dolmetscherin Leyla (Sibel Kekelli) nach Ostafrika auf. Dass die Geschäfte dort anders laufen als gewünscht, überrascht kaum, doch andererseits findet Brenninger zu sich. Ruhiger wird der Film hier, Schubert tritt völlig an die Stelle von Rockmusik und Brenninger bekennt sich zu seinem gescheiterten Leben, zur Kompensation des nicht erfüllten Musiker-Traumes durch das Engagement in der Firma.
Steinbichler riskiert viel, inszeniert mit Verve, immer an der Grenze zur Karikatur. Doch gerade diese Risikobereitschaft und Kompromisslosigkeit macht seinen Film interessant und mitreißend. Ein Kotzbrocken ist sein Protagonist, doch man verachtet ihn trotz rassistischer Beschimpfungen, trotz peinigender Gemeinheiten gegenüber den Mitmenschen nicht, sondern bedauert ihn, leidet mit ihm und wünscht ihm von Herzen Befreiung von den Dämonen, die ihn verfolgen.
Wird vom Filmforum Bregenz am Mittwoch, den 17.6. um 20 Uhr und am Freitag, den 19.6. um 22 Uhr gezeigt
Die Meinung von Gastautoren muss nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen. (red)